Sitzung der Weidegemeinschaft

Gestern war ich zur Sitzung der Weidegemeinschaft um 20 Uhr eingeladen. Wie komme ich dazu? Der Verein Auszeithaus-Auders hat mit dem Kauf der Hofstelle Auders 509 auch die mit dem Haus verbundenen Weiderechte und Holzrechte erworben und ist somit Mitglied der Weidegemeinschaft. Das Weiderecht ist ein Recht seit Altersher, kann nur mit einer entsprechenden Hofstelle erworben, aber nicht veräußert oder sonst irgendwie gehandelt werden.

So wurde ich bei der Sitzung vom Obmann als neues Mitglied begrüßt. Ich war rechtzeitig da, der Obmann und ein weiterer Bauer waren schon anwesend. Wir begrüßten uns und sie meinten, die Sitzung würde erfahrungsgemäß erst um halb Neun beginnen.

 

 

Ich wusste nicht, was mich erwartete.

Ich verfügte nur über die Information, dass die Gemeinde Weideland als Bauland verkaufen wolle und dass dies unter der Weidegemeinschaft zu ziemlich viel Unmut geführt hat. So allmählich trafen weitere Bauern ein. Irgendwann kamen fünf Bauern gemeinsam in den kleinen Sitzungssaal, ohne zu grüßen marschierten sie in Phalanx ein und setzten sich. Diese Szene hatte schon was, was für mich die Luft vibrieren ließ. Dann dauerte es eine ganze Weile, bis die Sitzung so allmählich anfing, mir schien, als müssten sich alle an das enge Zusammensitzen erst gewöhnen. Etwa zwei Stunden dauerten die organisatorischen Abklärungen bezüglich der anstehenden Instandsetzungsarbeiten, was mit und was ohne Bagger möglich ist, dann auch über die Erneuerung von verschiedenen Zaunabschnitten. Danach ging es auch um die Fronarbeit (der Begriff ist von früher übernommen worden, heute werden die Arbeitsstunden vergütet), ich meldete mich, ohne genau zu wissen, auf was ich mich einlasse. Zwischendurch stieß auch der Bürgermeister zur Sitzung dazu.

 

Crashkurs pitztalerisch!

Für mich war es ein sprachlicher Crashkurs in Sachen pitztalerisch. Es gelang mir aber, der Konversation zu folgen. Als nach dem Abarbeiten der Tagesordnungspunkte die Frage nach dem Wahrheitsgehalts des Gerüchts gestellt wurde, dass die Gemeinde Weideland für eine/zwei Hofstelle/n (Stall mit Wohnhaus) verkaufen würde, kochten die Emotionen hoch und ich hatte sehr sehr viel Mühe, dem Diskussionsinhalt zu folgen, zumal nun sehr viele alte Geschichten, Vereinbarungen, Absprachen, alte Tabus und Verletzungen ins Spiel kamen. Es wurden Befürchtungen laut, dass damit eine Tür für immer mehr Bauland auf Kosten  des Weidelandes aufgestoßen würde. Die Sach- und Beziehungsebenen schossen kreuz und quer durch den Sitzungssaal. Ich bin überzeugt, dass ein eingeweihter Beobachter anhand der Einwürfe eine Trilogie über die Beziehungsgeschichten von mindestens zehn der beteiligten Familien schreiben könnte.

Ich saß da und staunte. Ich dachte daran, dass nicht nur die Fehler der Väter bis in die zweite/ dritte Generation Folgen zeigen, sondern auch Ihre guten Taten.

Teilnehmender Beobachter.

Als Außenstehender und Beobachter versuche ich die Situation auf meine Weise zu deuten.

Zuerst finde ich, das ist lebendige Demokratie, es ist für mich ein Zeichen, dass Menschen über ihre Angelegenheit selbst entscheiden wollen, oder wie Einer es ausdrückte: Wir lassen uns nicht mehr auf den Kopf scheißen! Menschen spüren sehr genau dass oft nicht ihre Interessen im Mittelpunkt von politischen Entscheidungen stehen, sondern die von Finanzinteressen, politischen Kräften, Nomenklatur und undurchsichtigen Gesetzen. Dabei gehen ihre Bedürfnisse, ihre alten Absprachen, ungeschriebenen Gesetze und der über Generationen entstandene Verhaltenskodex den Bach runter. Über Generationen mühsam errungener Interessenausgleich wird oft bei politischen Entscheidungen einfach ignoriert. Wenn ein lange bestehender fragiler Konsens, der kulturell und anhand komplexer Beziehungsgeflechte entstanden ist, einfach beiseite geschoben wird, dann werden die Grundfesten der Gemeinschaft erschüttert und es kommt zu hoch emotionalen Ausbrüchen und oft auch zu irrationalen Handlungen. Wer mangelnde Transparenz sät, wird Ablehnung ernten!

Das Erlebnis ist für mich deshalb so interessant, weil ich erlebt und erfahren habe, dass die gleichen menschlichen Mechanismen, Reaktionen, Beziehungen, die ungeschriebenfn kulturellen Gesetze, der gegenseitige Respekt auf der ganzen Welt, in einer kleinen oder großen Stadt wie auch im abgelegensten Dorf dieselben sind. Ob es dabei um eine Dorfgemeinschaft geht, um eine Betriebsgemeinschaft, eine Lebensgemeinschaft oder um eine Gemeinschaft, die wir Familie nennen, immer sind es die rechten menschlichen Beziehungen, die unser Leben schöner und erfüllter machen.

Kommentare: 0 (Diskussion geschlossen)
    Es sind noch keine Einträge vorhanden.